„Die christliche Vergebung ist ein bedingungsloser Wert, der sogar größte Schandtaten umfasst, wie etwa den Mord an unschuldigen Menschen, den Genozid oder eine Zwangsumsiedlung”, liest man in der Bekanntmachung des Präsidiums der Polnischen Bischofskonferenz vor dem 73. Jubiläum des Wolhynien-Massakers. Die Bischöfe schreiben, dass „die gemeinsame Vergebung zwischen der polnischen und der ukrainischen Nation eine besondere religiöse und moralische Forderung ist, die sich uns während des Außergewöhnlichen Jubiläums der Barmherzigkeit stellt (…)”.

Wir veröffentlichen den ganzen Text der Bekanntmachung:

Bekanntmachung des Präsidiums der Polnischen Bischofskonferenz

1. Am Vorabend des Jahrestages des Wolhynien-Massakers, dessen Symbol die Ereignisse vom 11. Juli 1943 sind, rufen wir unsere Landsleute zur Vergebung und Versöhnung auf. Wir sind uns bewusst, dass „Hunderttausende unschuldige Menschen, darunter Frauen, Kinder und alte Leute, besonders Polen, aber auch Ukrainer, und diejenigen, die ihre Nachbarn und Verwandten in Not retteten, zu Opfern des Massakers und der ethnischen Säuberungen wurden. (…) Wir wissen, dass die christliche Einschätzung des Wolhynien-Massakers eine eindeutige Verurteilung und Entschuldigung von uns verlangt. Denn wir sind davon überzeugt, dass weder Gewalt noch ethnische Säuberungen eine Methode sein können, die Konflikte zwischen Nachbarvölker oder Nachbarnationen zu lösen, oder mit politischen, wirtschaftlichen sowie religiösen Gründen zu rechtfertigen sind.“ (Erklärung von Swjatoslaw Schewtschuk, Großerzbischof von Kiew-Halytsch der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, Erzbischof Józef Michalik, Metropolit von Przemyśl des lateinischen Ritus, Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Mieczysław Mokrzycki, Metropolit von Lemberg des lateinischen Ritus, Vorsitzender der Katholischen Bischofskonferenz in der Ukraine, Erzbischof Jan Martyniak, Metropolit von Przemyśl-Warschau der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, Warschau, 28. Juni 2013).

Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass eine tiefe Vergebung und Versöhnung nur in der vollen Wahrheit, welche die Befreiung bringt, erreicht werden kann (vgl. Joh 8,32). Wir können nicht flüchten vor der historischen Wahrheit, so schmerzhaft sie auch ist, sondern wir müssen sie vertiefen, und dies ist die Hauptaufgabe, die sich den Historikern stellt. Vor allem aber sollten uns die wirklich prophetischen Worte des Hl. Johannes Paul II., dem Großen, vorschweben, die er im Jahr 2001 in Lemberg ausgesprochen hat: „Dank der Reinigung des historischen Gedenkens mögen alle bereit sein, das, was vereint, höher zu stellen als das, was trennt, um die Zukunft, die sich auf den gegenseitigen Respekt, die brüderliche Gemeinschaft, die Zusammenarbeit und die authentische Solidarität stützt, zusammen zu bauen.“

2. Im Namen des Präsidiums der Polnischen Bischofskonferenz drücken wir unsere Freude aus über jede Bemühung, die zur Vergebung der Schuld von einzelnen Menschen und Nationen führt. Die christliche Vergebung ist ein bedingungsloser Wert, der sogar größte Schandtaten umfasst, wie etwa den Mord an unschuldigen Menschen, den Genozid oder eine Zwangsumsiedlung.

Der Hl. Johannes Paul II. schrieb an Ukrainer und Polen: „Da Gott uns in Christus vergeben hat, müssen die Gläubigen, das erfahrene Leid einander vergeben und um Vergebung für eigene Verstöße bitten, so dass sie auf diese Weise dazu beitragen, eine Welt zu bauen, in der man das Leben, die Gerechtigkeit und den Frieden respektiert.“ (Botschaft von Johannes Paul II. zum 60. Jahrestag der tragischen Ereignisse in Wolhynien, Vatikan, 7. Juli 2003)

Die gemeinsame Vergebung zwischen der polnischen und der ukrainischen Nation ist eine besondere religiöse und moralische Forderung, die sich uns während des Außergewöhnlichen Jubiläums der Barmherzigkeit stellt, das uns dazu aufruft, „barmherzig wie Unser Vater im Himmel“ zu sein.

3. Die christliche Vergebung bedeutet keine Banalisierung des Massakers, keine Rechtfertigung der Schuld und kein Vergessen, sondern sie ist aus moralischen Gründen sehr wichtig sowie – aufgrund der Beziehungen von benachbarten Nationen – wegen des friedlichen Zusammenlebens der zukünftigen Generationen, die nicht verantwortlich für die Taten der Vorfahren sind.

Deshalb halten wir die Worte aus dem Brief der griechisch-katholischen Bischöfe der Ukraine und der römisch-katholischen Bischöfe von Polen weiterhin für aktuell: „Erheben wir uns über die politischen Ansichten und historischen Vorfälle, über unsere kirchlichen Riten, sogar über unsere Nationalität – als Ukrainer und Polen. Erinnern wir uns besonders daran, dass wir Kinder Gottes sind. Wenden wir uns unserem Vater zu: ‚Vergib uns unsere Schuld, sodass wir vergeben unsern Schuldigern’. Damit unser Gebet fruchtbar ist, sagen wir einander die Worte: ‚Wir vergeben und wir bitten um Vergebung’, denn diese Worte besitzen bereits eine historische Kraft beim Werk der Versöhnung zwischen den Nationen. (vgl. Brief der polnischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe, Rom 1965) Möge dieser Akt der Vergebung und Versöhnung sich vor dem Antlitz des einen dreifaltigen Gottes und der Gottesmutter an den für unsere Gläubigen so heiligen Orten darstellen: ‚auf Jasna Góra und in Zarwanica, in Warschau und in Lemberg’. Möge unser gemeinsames Gebet ein Gebet des reinen Herzens sein, ein Gebet der Menschen des guten Willens.“ (Der Friede zwischen den Nationen ist möglich. Der Brief der griechisch-katholischen Bischöfe der Ukraine und der römisch-katholischen Bischöfe Polens aus Anlass des Aktes der gemeinsamen Vergebung und Versöhnung. Warschau-Lemberg, 19.-26. Juni 2005)

Um die Einheit der Nationen zu verwirklichen und im Geiste des Vertrauens gemeinsame Beziehungen zu entwickeln, damit eine Zivilisation der Liebe entsteht, muss man das Erbe der Vergangenheit überwinden, das historische Unrecht und Missverständnisse gegenseitig vergeben, so wie unsere Erinnerung reinigen.

Erzbischof Stanisław Gądecki, Metropolit von Posen, Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz

Erzbischof Marek Jędraszewski, Metropolit von Lodz, Stellv. Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz

Bischof Artur G. Miziński, Generalsekretär der Polnischen Bischofskonferenz

Warschau, den 24. Juni 2016

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