Die Versöhnung ist ein Wort, das seit über einem Vierteljahrhundert die polnisch-deutschen Beziehungen definiert. Das ist ein groβer Wert, den man erreichte und den wir aufrechterhalten dank der Bemühungen der Politiker sowie der Menschen guten Willens auf beiden Seiten der Grenze. Wir sind uns jedoch bewusst, dass man ihn leicht verlieren kann durch voreilige Entschlüsse, und sogar durch zu übereilt ausgesprochene Worte. Gleichzeitig erinnern wir uns daran, dass die patriotische Pflicht darin besteht, „sich für den Werk der gesellschaftlichen Versöhnung einsetzen, durch die Erinnerung an die Wahrheit über die Würde jedes Menschen, die Entschärfung übermäßiger politischer Emotionen, das Hinweisen und das Erweitern der Gebiete der möglichen und der für Polen unerlässlichen Zusammenarbeit über die Teilungen, sowie durch den Schutz des öffentlichen Lebens vor der unnötigen Politisierung ( so „Die christliche Form des Patriotismus“).

Der Aussöhnungsprozess, den wir in den vergangenen Jahren gemeinsam unternahmen und konsequent realisierten, ist ein Vorbild für viele andere Staaten auf der Welt. Es ist erforderlich, zu erinnern, dass dieser Prozess vor über 50 Jahren initiiert worden ist mit dem Brief der polnischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe, der von Kardinal Stefan Wyszyński und den Erzbischöfen Karol Wojtyła und Bolesław Kominek signiert wurde. In dem Brief befanden sich die denkwürdigen Worte: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Sie haben nichts an ihrer Bedeutung und Aktualität verloren. Die Vergebung ist keine konjunkturelle Entscheidung, die von den Umständen abhängt, sondern ein unwiderruflicher Akt der Barmherzigkeit, welcher der Gerechtigkeit nicht widerspricht, sondern er ergänzt sie.

In den vergangenen Jahrzehnten haben wir von deutscher Seite viele Gesten erfahren, die auf die Versöhnung der beiden Nationen abzielten und auf  Überwindung der Folgen der tragischen und schmerzhaften Ereignisse, welche die Geschichte der beiden Nationen füllen. Einen dauerhaften Platz besitzen in dieser Geschichte die Worte von Helmut Kohl, die er in Krzyżowa, zwei Tage nach dem Mauerfall in Berlin, ausgesprochen hatte: „Lasst uns vom Altar aus in Richtung einer guten, friedlichen, von Gott gesegneten Zukunft gehen: für unsere Völker, für das polnische und das deutsche Volk, für uns alle in Europa.“ Solche Gesten und solche Worte darf man weder vergessen noch missachten, denn sie ebneten uns letztendlich den Weg für die Völker des vereinten Europas  und sind auch bis heute verpflichtend.

Als wir uns an schmerzhafte Momente unserer Geschichte und gemeinsamer Beziehungen erinnern, sind wir verpflichtet, uns zu erinnern und andere daran zu erinnern, dass in den dunklen Zeiten des Kriegszustands in Polen genau die deutsche Gesellschaft an der Spitze von denjenigen lag, die auf unterschiedliche Weise sehr konkrete Hilfe, moralische und materielle, leisteten, als sich unser Land am Rande der humanitären Katastrophe befand. Wir sind uns dessen bewuβt, dass es damals keine Treffen zwischen den Politikern gab, sondern zwischen den Gesellschaften, und dass es damals auf der Grundebene zum Wiederaufbau der gemeinsamen Verhältnisse kam und sind auch die Beziehungen des Wohlwollens und der Freundschaft entstanden, die bis heute dauern. Sie werden in nächsten Generationen fortgesetzt, und das Beispiel dafür sind die Treffen der jungen Deutschen und Polen während des vorjährigen Weltjugendtags in den polnischen Diözesen und in Krakau.

Das Kapital des Gutes in den gemeinsamen Beziehungen zwischen den Gesellschaften, Nationen und Ländern, das über Jahre angesammelt wurde, darf man weder vergeuden noch verspielen. Das Kapital der Versöhnung und der Beziehungen muss geschützt, gestärkt und vermehrt werden, für das Gute unserer Heimatländer, die eine Mission zu erfüllen haben: die Mission des Zeugnisses der Vereinten gegenüber Nichtvereinten in Europa und auf der Welt. Deshalb von groβer Bedeutung ist die Art und Weise, auf welche die ungeregelten Sachen in den Beziehungen beider Länder behandelt werden. Man soll sie unternehmen auf der Ebene der vernünftigen Diplomatie, um das mit Bemühen erreichte Vertrauen aufrechterzuhalten, und es nicht zunichtemachen durch die Erregung von negativen sozialen Emotionen auf einer der beiden Seiten.

In diesem Kontext hoffen wir, dass die für unser Land und die internationale Beziehungen zuständigen Personen, welche die schon vollbrachten Versöhnungsprozesse vor Augen halten, werden auf diesem Kapital und nach seinem vielsichtigen Wert bauen. Wir sind davon überzeugt, dass die Versöhnungsprozesse im zweiseitigen Dialog, voll Sorge für die Zukunft unserer Gesellschaften weiter geschafft werden können.

In diesem Geiste agiert die Katholische Kirche und die anderen christlichen Kirchen, die das Evangelium der Vergebung, der Versöhnung und des Friedens verkünden. Papst Franziskus in seiner Botschaft zum  50. Weltfriedenstag (am 1. Januar 2017) appellierte an die politischen und religiösen Oberhäupter, an die Vorgesetzten der internationalen Institutionen, an die Chefs der Unternehmen sowie der Medien aus der ganzen Welt, im Handeln den „Stil einer Politik für den Frieden“ zu unternehmen. Er wies darauf hin, dass dies „die Bereitschaft, »den Konflikt zu ertragen, ihn zu lösen und ihn zum Ausgangspunkt für einen neuen Prozess zu machen« erfordert. Auf diese Art und Weise zu wirken, bedeutet, die Solidarität als den Stil zu wählen, Geschichte zu machen und soziale Freundschaft aufzubauen.“ Im historischen Kontext Polens, das sich damit rühmt, dass uns die Moraltugend der Solidarität den Weg zur Freiheit eröffnete, klingt es wie eine besondere Verpflichtung. Die polnisch-deutschen Beziehungen in den letzten Jahrzehnten sind ein Beweis dafür, dass es möglich ist und dass es gesegnete Folgen für uns alle bringt.

Wir sind voll der Hoffnung, dass auf dieser Ebene der „Stil eines Handelns für den Frieden“ von beiden Seiten fortgesetzt sein wird.

Erzbischof Henryk Muszyński
Mitvorsitzender der Kontaktgruppe in den Jahren 1994-2005

Bischof Jan Kopiec
Mitvorsitzender der Kontaktgruppe

Erzbischof Wiktor Skworc
Mitvorsitzender der Kontaktgruppe in den Jahren 2005-2016

Kardinal Kazimierz Nycz
Mitglied der Kontaktgruppe

Bischof Tadeusz Lityński
Mitglied der Kontaktgruppe

Warschau, den 8. September 2017, am Fest Mariä Geburt