Erzbischof Stanisław Gądecki
Hochfest Maria Empfängnis, 8.12.2018, Berlin

Heute feiern wir in Berlin als Menschen verschiedener Sprachen und Kulturen einen der schönsten Feiertage der Heiligen Jungfrau Maria: Hochfest ihrer Unbefleckten Empfängnis. An diesem Hochfest richten wir unseren Blick auf die Immakulata und sehen in ihr – wie im Morgenstern – den Morgen des Tages vor Sonnenaufgang, der Jesus Christus ist.

1. EVA

„Adam antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben und so habe ich gegessen. Gott, der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du da getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt und so habe ich gegessen“ (Gen 3:12-13). Dieses kurze, im Paradies stattfindende Urdrama ist die grundlegende Lektion über die Natur der menschlichen Sünde. Sein Kern ist der Versuch, Gott als den, der die Moral definiert, zu ersetzen. Die Schlange zeigt die ausweichenden und hinterlistigen Ermutigungen und Rationalisierungen, die wir verwenden und überschreiten moralische Grenzen, um an die Macht zu kommen oder die gewünschten Ziele zu erreichen. Obwohl die Schlange lügt, versteht Eva das Verbot Gottes deutlich genug. Aber sowohl sie als auch ihr Mann möchten wie Gott sein und die Sünde akzeptieren.

Nach der Sünde beschuldigt der Mann die Frau, die wiederum die Schlange beschuldigt. Gott wiederum kündigt Strafe in umgekehrter Reihenfolge an – von der Schlange über die Frau bis zum Mann. Nach der Erbsünde wendet sich Gott an die Schlange, die Satan symbolisiert, verflucht sie und verspricht: „Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse“ (Gen 3:15). Das menschliche Herz wird immer mit dem Wunsch kämpfen, sich über den Willen Gottes zu stellen.

Dies ist eine Ansage der Vergeltung. Am Anfang der Schöpfung scheint Satan ein Berg zu sein, aber der Sohn der Frau wird erscheinen, der seinen Kopf zerquetschen wird. Dieser Text bezieht sich nur auf den Nachkomme und Seine Mutter, wobei Adam, der erste Mann, vollständig ausgelassen wurde.

Dies wird später an Maria verwiesen, die ihren Ehemann nicht kannte (Lk 1:34). Durch ihren Nachkommen wird das Gute siegen. Diese Frau wird Maria sein, aus ihr ist Jesus Christus geboren, der durch sein Opfer ein für alle Mal den Satan besiegt hat. Deshalb repräsentieren so viele Gemälde und Statuen die Unbefleckte Maria, wie sie die Schlange mit ihren Füßen zertritt.

2. MARIA

a) Der Knoten des Ungehorsams der Eva ist gelöst worden durch den Gehorsam Marias; und was die Jungfrau Eva durch den Unglauben gebunden hat, das habe die Jungfrau Maria durch den Glauben gelöst(vgl. Hl. Iräneus,  Haereses, 3, 22, 4). „Evas Sünde, die auf dem Glauben des Teufels beruht, hat Maria repariert da sie den Engel geglaubt hat“ (De carne Christi, XVII, 4-5).

Als die Zeit kam, in der Gott beschloss, seine Menschwerdung zu verwirklichen, „musste er zuerst eine Tugend in der Welt erwecken, die ihn zu uns ziehen könnte. Er brauchte eine Mutter, die ihn in der menschlichen Welt zur Welt bringen würde. Was tat er dann? Er schuf die Jungfrau Maria, das heißt, er hat die Reinheit auf der Erde hervorgebracht, dass er sich in dieser Transparenz als Kind fokussieren und erscheinen konnte“ (Teilhard de Chardin, Der Göttliche Bereich, Teil 3) [eigene Übersetzung].

Sie ist „voller Gnade“ und ihre ganze Person spiegelt die Helligkeit der „Sonne“ wider, die Gott ist. Sie hat einen Mond unter den Füßen, ein Symbol für Tod und Sterblichkeit. Sie ist frei von jeglichen Schatten des Todes und vollständig mit dem wirklichen Leben gefüllt. So wie der Tod keine Macht mehr über den auferstandenen Herrn hat (Röm 6:9), durch Gnade und Privileg ist in den Augen Gottes auch Maria ihm nicht unterworfen. Dies spiegelt sich in den zwei großen Geheimnissen ihrer Existenz wider: am Anfang, als sie unbefleckt empfangen war, ohne Erbsünde, und später, als sie mit Leib und Seele in den Himmel gebracht wurde.

Die Wahrheit über die unbefleckten Empfängnis kommt aus der Heiligen Schrift. Erstens aus dem Proto-Evangelium, das ist aus dem dritten Kapitel des Buches Genesis („Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse“ – Gen 3:15). Dann aus den Worten, mit denen der Engel Maria gegrüβt hat („Sei gegrüßt, du Begnadete“ – Lk 1:28) und aus dem zwölften Kapitel der Apokalypse („Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“ – Off 12:1). Aus diesen Texten geht hervor, dass Maria vollkommen heilig ist, dass in ihr auf großartigste Weise die ersten Früchte der Erlösung erscheinen; dass sie nicht so empfängt wurde, wie andere Menschen, die von Gott entfernt waren, sondern sie war von Anfang an völlig überwältigt von der Gnade Gottes, „von jeder Sündenmakel frei“. Und auch im späteren Leben ist sie aufgrund der Verdienste Jesu Christi von jeder persönlichen Sünde völlig frei geblieben. Die östliche Kirche sah diese Wahrheit von der positiven Seite und nannte Maria die „Ganzheilige“. Die westliche Kirche betonte die negative Seite dieser Wahrheit und lehrte über die Bewahrung Marias von den Auswirkungen der Erbsünde. Beide Ansichten wurden in der Vision des II. Vatikanischen Konzils miteinander verbunden, das lehrt, dass Maria vom ersten Augenblick ihrer Existenz an „ganz heilig und von jeder Sündenmakel frei zu nennen, gewissermaßen vom Heiligen Geist gebildet und zu einer neuen Kreatur gemacht“ (Lumen gentium, 56).

Doch auch ihr ganzes irdisches Leben ist ein Sieg über den Tod gewesen, da es sich voll und ganz im Dienst an Gott, in der vollständigen Selbsthingabe an ihn und an den Nächsten vollzogen hat. Deshalb ist Maria in und durch sich selbst ein Hymnus auf das Leben: sie ist das Geschöpf, in dem sich das Wort Christi bereits erfüllt hat: »Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben, und es in Fülle haben« (Joh 10:10). In der Vision der Geheimen Offenbarung gibt es ein weiteres Detail: Auf dem Haupt der mit der Sonne bekleideten Frau ist »ein Kranz von zwölf Sternen«. Dieses Zeichen steht für die zwölf Stämme Israels und bedeutet, daß die Jungfrau Maria im Mittelpunkt des Gottesvolkes, der gesamten Gemeinschaft der Heiligen steht (vgl. Benedikt XVI., Ansprache am Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, Rom – 8/12/2011).

b) Diese Wahrheit wurde später vom Autor des apokryphen „Buches über die Geburt der Maria“ verstanden, der den Augenblick der Empfängnis der Jungfrau Maria vorstellte: „Der Name ihres Vaters war Joachim […]. Eines Tages, als er allein war, stand ein Engel des Herrn in großer Herrlichkeit vor ihm. Und als er Angst hatte, den Engel zu sehen, beruhigte er ihn und sagte: ‚Joachim, fürchte dich nicht, lass mein Sicht dich nicht stören. Denn ich bin der Engel des Herrn, der von Ihm zu dir gesandt wurde, um dir zu verkünden, dass deine Bitte gehört wurde… Er hat deine Verlegenheit gesehen und von einer Beleidigung wegen Unfruchtbarkeit gehört, die du zu Unrecht angeklagt worden bist. Denn Gott ist der Rächer der Sünde, nicht der Natur. Und wenn er dann den Leib schließt, tut er es so, dass er noch wunderbarer geöffnet werden kann und dass es bekannt wird, dass das, was geboren wird, nicht aus Lust ist, sondern aus der Gabe Gottes. […]

Anna, deine Frau, wird deine Tochter zur Welt bringen und sie Maria nennen. Es wird von Jugend an zum Herrn geweiht, wie ihr geschworen habt, und wird im Leib der Mutter mit dem Heiligen Geist erfüllt sein“ (2:3,1-8) [eigene Übersetzung].

Es ist nichts anderes als ein einfaches Echo des Versprechens des Engels bezüglich der Geburt Christi, das an Joseph gerichtet ist: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist“ (Matt 1:20).

c) Georges Bernanos im Tagebuch eines Landpfarrers schreibt: „Sie wurde ohne Sünde geboren, was für eine erstaunliche Einsamkeit! Eine Quelle, die so klar und so durchsichtig ist, dass sie nicht einmal die Widerspiegelung ihres eigenen Bildes in ihr sehen konnte, nur zur Freude des Vaters… Der Blick der Jungfrau Maria ist der einzig wahre Blick eines Kindes, der einzig wahre Blick des Kindes, der unsere Schande und unser Elend begegnete. Ja, mein Geliebter, um gut zu ihr zu beten, muss man diesen Blick auf sich fühlen, der kein völlig nachsichtiger Blick ist – weil Nachsicht nicht ohne eine bittere Erfahrung geboren wird, sondern ein Blick des zärtlichen Mitleids, des schmerzlichen Erstaunens, irgendeines unverständlichen, unaussprechlichen Gefühls, die sie jünger als die Sünde macht, jünger als die Nation, aus der sie kam…“ [eigene Übersetzung].

Warum hält die Sünde, die wie ein rauschender Fluss die ganze Menschheit in ihre Tiefe zieht, angesichts Marias auf? Diese Schwierigkeit wurde im dreizehnten Jahrhundert vom seligen Johannes Duns Scotus gelöst. Er zeigte, dass nicht nur die Erlösung, sondern auch der Schutz Marias vor der Erbsünde auf die Erlösung, die Christus vollbracht hat, verwiesen werden sollte. „Auf diese Weise wurde das Gesetz der Erbsünde nicht durch das höhere Gesetz der Gnade der Erlösung gebrochen, sondern nur in einem Fall ausgesetzt, was eigentlich der vollkommenste Weg der Erlösung ist“, schrieb Duns Scotus.

3. CHRISTUS

In Anbetracht des Geheimnisses der Unbefleckten Empfängnis führte Kardinal Joachim Meissner ein auffälliges Beispiel für die Unfähigkeit des Menschen an, sein menschliches Traumideal zu erreichen. Er erinnert sich daran, dass einst Goethe – der Vertreter des sogenannten Humanismus ohne Gott – während seiner Wanderung durch Buchenwald bei Weimar seinen Freunden berauschend sagte: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“. Dieser auf die Rinde einer Buche eingravierte Satz ist bis heute im Gedenken der deutschen Nation geblieben. Mit einer seltsamen Gottes Anordnung befand sich dieser Baum später am Rande des Appellplatzes des Konzentrationslagers und widerlegte den Worten, die darauf gelegt wurden. Im Leben gelingt der wirkliche Humanismus ohne Gott nicht. Nur Gott kann den Menschen vollkommen menschlich machen, wie er es mit Maria tat.

4. WIR  

Die Immakulata möchte, dass das Werk ihres Sohnes, das uns die Erlösung bringt, nicht umsonst sein sollte. Sie wird für uns zum Zeichen der Reinheit von allem, was von Gott gekommen ist. Auch ein Symbol für einen neuen Menschen, der in uns geboren wird, wenn der Herr uns mit seiner Kraft berührt.

Wir sehen es deutlich beispielsweise im Falle der Beichte, insbesondere wenn wir dem ständigen Geständnis der gleichen Sünden ausgesetzt sind. Diese demütigende Erfahrung ist einer der Gründe, warum Menschen ihre Beichte aufgeben. In einer solchen Flucht ist der Mangel an Glauben deutlich zu hören. Ein Mensch, der auf die Beichte verzichtet, denkt, dass Gott, der uns verzeiht, immer ungeduldiger wird und dass sich der Moment, in dem er hört, dass „genug ist genug“, unvermeidlich nähert. Anstatt auf dem Boden der Gnade zu stehen und freie Vergebung anzunehmen, möchten wir mit unseren eigenen Bemühungen der Vergebung würdig werden. Inzwischen erlaubt es die Zustimmung zum Leben dank der Gnade, das Herz zu verändern, vollständig zu verändern und nicht nur oberflächlich. „Gott vergibt immer, die Menschen vergeben manchmal, die Natur vergibt aber nie“. Das heutige Hochfest beweist jedoch, dass selbst die Allmacht dieser „rachsüchtigen“ Natur durch Gottes Gnade begrenzt wurde.

Immakulata – „der einzige Stolz unserer makellosen Natur“ (Wordsworth) – zeigt uns, dass das Wesen der Menschenwürde in einer totalen Hingabe an Gott liegt. Ohne diese Haltung kann es nicht ein wahres Priestertum, die Einwilligung in Ehe und Familienleben, die Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft weder die Zusammenarbeit zwischen Gott und der menschlichen Familie bei der Erlösungswerk geben (Francis Kardinal George).

Dies wurde vom Hl. Maximilian Kolbe gut verstanden, der sich selbst und alle seine Arbeit Ihr anvertraut hat. Die groβe Menge an die Werke, die mit Unterstützung der Immakulata gemacht wurden, zeigt uns, wozu eine Person, die sich der Immaculata anvertraut, fähig ist.

„Jedes Mal, wenn wir unsere Gebrechlichkeit und den Einfluß des Bösen erleben, dürfen wir uns an sie wenden, und unser Herz empfängt Licht und Trost. Auch in den Prüfungen des Lebens, in den Stürmen, die den Glauben und die Hoffnung ins Wanken geraten lassen, wollen wir daran denken, daß wir ihre Kinder sind und die Wurzeln unseres Daseins in die unendliche Gnade Gottes eingesenkt sind. Auch wenn die Kirche selbst den negativen Einflüssen der Welt ausgesetzt ist, sieht sie in ihr stets den Stern, um Orientierung zu finden und dem von Christus gewiesenen Kurs zu folgen. Denn Maria ist die Mutter der Kirche, wie dies Papst Paul VI. und das Zweite Vatikanische Konzil feierlich verkündet haben. Während wir also Gott für dieses wunderbare Zeichen seiner Güte danken, empfehlen wir der Unbefleckten Jungfrau einen jeden von uns, unsere Familien und Gemeinden, die gesamte Kirche und die ganze Welt“ (Benedikt XVI., Angelus, 8/12/2009).

ENDE

Während Maria unbefleckt ist, frei von jeglichem Makel der Sünde, ist die Kirche heilig, aber gleichzeitig von unseren Sünden geprägt. Daher wendet sich das Volk Gottes, das in der Zeit pilgert, an ihre himmlische Mutter und sie um Hilfe bittet. Die Kirche bittet Maria darum, sie auf dem Pilgerweg des Glaubens zu begleiten, sie zu ermutigen, sich im christlichen Leben zu engagieren und die Hoffnung aufrechtzuerhalten. Wir brauchen es, besonders in schwierigen Momenten für vielen Teilen der Welt. Möge Maria uns helfen, zu sehen, dass auf der anderen Seite des Nebels, der scheint die Realität zu umschließen, Licht ist. Aus diesem Grund, in besonderer Weise, hören wir auch an diesem Tag nicht auf, um ihre Hilfe zu bitten: „O Maria, ohne Sünde empfangen, bitte für uns, die wir unsere Zuflucht zu dir nehmen“. Bitte für uns, halte für uns Fürsprache beim Herrn Jesus Christus!

BRAK KOMENTARZY