Bischöfe Europas zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau: Nein zu Antisemitismus und politischer Manipulation der Wahrheit

25-01-2020
1506

Die 75 Jahre, die seit der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau vergangen sind, zwingen uns, uns klar gegen alle Erscheinungsformen der Zerschlagung der Menschenwürde zu wenden: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Wahrheit ignoriert oder für unmittelbare politische Bedürfnisse manipuliert wird – lesen wir in der Erklärung des Präsidiums des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) und des Präsidenten der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE), welche im Namen der Bischöfe Europas veröffentlicht wurde.

Die Bischöfe Europas weisen darauf hin, dass, obwohl seit der Befreiung von KZ Auschwitz-Birkenau 75 Jahre vergangen sind, ist dieser Ort nach wie vor ein Ort der Angst. Sie erinnern daran, dass es das größte Nazi-Konzentrationslager war, das 1940 im besetzten Polen errichtet wurde.

„An diesem Jahrestag appellieren wir an die moderne Welt für Versöhnung und Frieden, für die Achtung des Rechts jeder Nation auf Existenz und auf Freiheit, auf Unabhängigkeit und auf Bewahrung eigener Kultur. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Wahrheit ignoriert oder für unmittelbare politische Bedürfnisse manipuliert wird. Dieser Aufruf ist äußerst wichtig jetzt, denn trotz der dramatischen Erfahrungen der Vergangenheit ist die Welt, in der wir leben, immer noch neuen Bedrohungen und neuen Erscheinungsformen von Gewalt ausgesetzt. Grausame Kriege, Fälle von Völkermord, Verfolgung, verschiedene Formen von Fanatismus finden weiterhin statt, obwohl die Geschichte lehrt, dass Gewalt nie zum Frieden führt, sondern neue Gewalt und Tod hervorruft“ – lesen wir in der Erklärung der Bischöfe Europas.

Die Bischöfe betonen, dass Auschwitz zu einem Symbol für alle deutschen Konzentrationslager und sogar für alle derartigen Vernichtungsstätten wurde. „Es ist wie ein Hohepunkt des Menschenhasses, der im 20. Jahrhundert viele Todesopfer forderte.  Hier wurde die These über die grundlegende Ungleichheit der Menschen an ihre letzten Grenzen gebracht. Hier eigneten sich die Nazis die Macht an, zu entscheiden, wer ein Mensch ist und wer nicht. Hier begegnete sich Euthanasie mit Eugenik. Auschwitz-Birkenau ist ein Ergebnis des Systems, das sich auf der nationalsozialistischen Ideologie stützt, die die Würde des Menschen als Abbild Gottes mit Füßen tritt. Das gleiche gilt für einen anderen Totalitarismus, den Kommunismus, der ebenfalls viele Millionen Todesopfer forderte“ – schreiben die Bischöfe Europas.

Sie fügen hinzu, dass das ehemaliger KZ Auschwitz-Birkenau jedes Jahr von Hunderttausenden von Menschen besucht wird. Unter den Besuchern waren auch die letzten drei Päpste: Hl. Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus.

Die Bischöfe erinnern u.a. an die Worte, die Papst Franziskus vor einigen Tagen an die Delegation des „Simon Wiesenthal Center“ gerichtet hat: „Der Jahrestag der unverkennbaren Grausamkeit, die die Menschheit vor 75 Jahren entdeckt hat, ruft uns auf, in Schweigen zu verharren und in die Erinnerung zurückzukehren. Wir brauchen das, um nicht gleichgültig zu werden“.

Die Bischöfe rufen dazu auf, am 27. Januar um 15:00 Uhr, d.h. in der Stunde der Befreiung des KZs Auschwitz-Birkenau, eine Kerze anzuzünden und für die in den Todeslagern ermordeten Menschen aller Nationalitäten und Religionen und für ihre Angehörigen zu beten. „Möge unser Gebet die Versöhnung und Brüderlichkeit erweitern, deren Gegenteil Feindlichkeit, zerstörerische Konflikte und angefachte Missverständnisse sind. Möge die Kraft der Liebe Christi in uns gewinnen“ – lesen wir in der Erklärung.

Im Namen der Bischöfe Europas wurde die Erklärung vom Präsidium des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) bestehend aus: Präsident Kardinal Angelo Bagnasco, Vizepräsident Kardinal Vincent Nichols, Vizepräsident Erzbischof Stanisław Gądecki und vom Präsidenten der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) Kardinal Jean-Claude Hollerich unterzeichnet.

CCEE/COMECE

ERKLÄRUNG

DES PRÄSIDIUMS DES RATS DER EUROPÄISCHEN BISCHOFSKONFERENZEN (CCEE)

UND DES PRÄSIDENTEN DER KOMMISSION DER BISCHOFSKONFERENZEN DER EUROPÄISCHEN UNION (COMECE)

ANLÄSSLICH DES 75. JAHRESTAGES DER BEFREIUNG

DES DEUTSCHEN NAZI-KZ AUSCHWITZ-BIRKENAU

 Es sind bereits 75 Jahre seit der Befreiung des deutschen Nazi-Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau (27.01.1945) vergangen, und dieser Ort ist nach wie vor ein Ort der Angst.

  1. Es war das größte Nazi-Konzentrationslager, das 1940 im besetzten Polen errichtet wurde. Ursprünglich wurde es für Polen gegründet (Auschwitz), und dann wurde es auf dem Gebiet der benachbarten Brzezinka (Auschwitz-Birkenau) deutlich erweitert, so dass in den Jahren 1942-1944 – als Teil der „Endlösung“ – wurde es zu einem Ort der Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung. In KZ Auschwitz-Birkenau ermordeten die deutschen Nationalsozialisten mehr als eine Million Juden, zehntausenden von Polen (70-75.000) und Roma (21.000), Russen (15.000) und mehrere tausend Gefangene anderer Nationalitäten. Aufgrund der ungeheuren Menge an jüdischen Opfern bleibt es der größte Ort der Judenvernichtung und die größte Stätte des Massengenozids in der Welt.

Auschwitz wurde zu einem Symbol für alle deutschen Konzentrationslager und sogar für alle derartigen Vernichtungsstätten. Es ist wie ein Hohepunkt des Menschenhasses, der im 20. Jahrhundert viele Todesopfer forderte.  Hier wurde die These über die grundlegende Ungleichheit der Menschen an ihre letzten Grenzen gebracht. Hier eigneten sich die Nazis die Macht an, zu entscheiden, wer ein Mensch ist und wer nicht. Hier begegnete sich Euthanasie mit Eugenik. Auschwitz-Birkenau ist ein Ergebnis des Systems, das sich auf der nationalsozialistischen Ideologie stützt, die die Würde des Menschen als Abbild Gottes mit Füßen tritt. Das gleiche gilt für einen anderen Totalitarismus, den Kommunismus, der ebenfalls viele Millionen Todesopfer forderte.

  1. Das ehemaliger KZ Auschwitz-Birkenau wird jedes Jahr von Hunderttausenden von Menschen besucht. Unter den Besuchern waren auch die letzten drei Päpste.

Hl. Johannes Paul II. besuchte Auschwitz-Birkenau während seiner ersten Pilgerreise nach Polen (7. Juni 1979). In Auschwitz I durchquerte er ehrfürchtig das Lagertor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“, besuchte die Todeszelle von St. Maximilian Maria Kolbe und betete im Hof von Block 11, wo Häftlinge erschossen wurden. Danach ging er nach Brzezinka, wo er die Heilige Messe feierte. Während seiner Predigt sagte er: „Ich verweile gemeinsam mit euch, liebe Teilnehmer dieser Begegnung, vor der Tafel mit hebräischer Inschrift. Sie weckt das Andenken an das Volk, dessen Söhne und Töchter zur totalen Ausrottung bestimmt waren. Dieses Volk führt seinen Ursprung auf Abraham zurück, der der Vater unseres Glaubens ist (vgl. Röm. 4,12), wie Paulus von Tarsus sich ausdrückte. Gerade dieses Volk, das von Gott das Gebot empfing «Du sollst nicht töten!», hat an sich selbst in besonderem Ausmaß Mord erfahren. […] Niemals darf sich ein Volk auf Kosten eines anderen entwickeln, um den Preis seiner Eroberung und Versklavung, um den Preis seiner Ausbeutung und seines Todes!“

Papst Benedikt XVI ging allein durch das Lagertor (28.05.2006) und während des Gottesdienstes am internationalen Denkmal „Martyrium der Nationen“ hielt er eine Rede, in der er unter anderem sagte: „Wie Johannes Paul II. bin ich die Steine entlanggegangen, die in den verschiedenen Sprachen an die Opfer dieses Ortes erinnern. […] Da ist der Gedenkstein in hebräischer Sprache. Die Machthaber des Dritten Reiches wollten das jüdische Volk als ganzes zertreten, es von der Landkarte der Menschheit tilgen. […] Im tiefsten wollten jene Gewalttäter mit dem Austilgen dieses Volkes den Gott töten, der Abraham berufen, der am Sinai gesprochen und dort die bleibend gültigen Maße des Menschseins aufgerichtet hat. […] Mit dem Zerstören Israels, mit der Schoah, sollte im letzten auch die Wurzel ausgerissen werden, auf der der christliche Glaube beruht und endgültig durch den neuen, selbstgemachten Glauben an die Herrschaft des Menschen, des Starken, ersetzt werden. […] Ja, hinter diesen Gedenksteinen verbirgt sich das Geschick von unzähligen Menschen. Sie rütteln unser Gedächtnis auf, sie rütteln unser Herz auf. Nicht zum Haß wollen sie uns bringen: Sie zeigen uns, wie furchtbar das Werk des Hasses ist“.

Papst Franziskus, während seines Besuchs in KZ Auschwitz-Birkenau (29.07.2016) trat in die Fußstapfen seiner beiden Vorgänger. Er hielt keine Rede, aber seine stille Anwesenheit war noch beredter. In das Gedenkbuch schrieb der Heilige Vater: „Herr, erbarme dich deines Volkes! Herr, vergib so viel Grausamkeit!“ Er beendete seinen Aufenthalt mit einem Gebet am Denkmal „Martyrium der Nationen“.

  1. Vor einigen Tagen hat Papst Franziskus einen Appell gemacht: „Der Jahrestag der unverkennbaren Grausamkeit, die die Menschheit vor 75 Jahren entdeckt hat, ruft uns auf, in Schweigen zu verharren und in die Erinnerung zurückzukehren. Wir brauchen das, um nicht gleichgültig zu werden“ (Rede an die Delegation des „Simon Wiesenthal Center“, 20. Januar 2020).

Die 75 Jahre, die seit der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau vergangen sind, zwingen uns, uns klar gegen alle Erscheinungsformen der Zerschlagung der Menschenwürde zu wenden: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. An diesem Jahrestag appellieren wir an die moderne Welt für Versöhnung und Frieden, für die Achtung des Rechts jeder Nation auf Existenz und auf Freiheit, auf Unabhängigkeit und auf Bewahrung eigener Kultur. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Wahrheit ignoriert oder für unmittelbare politische Bedürfnisse manipuliert wird. Dieser Aufruf ist äußerst wichtig jetzt, denn trotz der dramatischen Erfahrungen der Vergangenheit ist die Welt, in der wir leben, immer noch neuen Bedrohungen und neuen Erscheinungsformen von Gewalt ausgesetzt. Grausame Kriege, Fälle von Völkermord, Verfolgung, verschiedene Formen von Fanatismus finden weiterhin statt, obwohl die Geschichte lehrt, dass Gewalt nie zum Frieden führt, sondern neue Gewalt und Tod hervorruft.

  1. Es sollte daran erinnert werden, dass, obwohl nach dem Zweiten Weltkrieg eine Versöhnung zwischen den Nationen menschlich unmöglich schien, konnten wir doch, vereint in der Liebe Christi, vergeben und um Vergebung bitten, wovon unter anderem das Brief polnischer Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder aus dem Jahr 1965 Zeugnis ablegte. Die Erfahrung der Vergangenheit lehrt, wie wichtig und fruchtbar es ist, ein Europa der Nationen aufzubauen, die versöhnt sind und sich gegenseitig vergeben.

Am 27. Januar um 15:00 Uhr, d.h. in der Stunde der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau, lasst uns eine Kerze anzünden und für die in den Todeslagern ermordeten Menschen aller Nationalitäten und Religionen und für ihre Angehörigen beten. Möge unser Gebet die Versöhnung und Brüderlichkeit erweitern, deren Gegenteil Feindlichkeit, zerstörerische Konflikte und angefachte Missverständnisse sind. Möge die Kraft der Liebe Christi in uns gewinnen.

Kardinal Angelo BAGNASCO

Präsident des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE)

Kardinal Jean-Claude HOLLERICH

Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE)

Kardinal Vincent NICHOLS

Vizepräsident des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE)

Erzbischof Stanisław GĄDECKI

Vizepräsident des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE)

Genua, Brüssel, London, Warschau, 25. Januar 2020